Seit 20 Jahren wird die sogenannte „Orgasmus-Lücke“ zwischen Männern und Frauen diskutiert. Immer mehr Studien deuten darauf hin, dass Cannabis dabei helfen kann, diese Lücke zu schließen. Könnte es sein, dass 2025 das Jahr wird, in dem Frauen in Sachen Lust endlich aufholen?
Eine neue Erfahrung mit Cannabis
Sonia, 42 Jahre alt und Marketing-Managerin, erinnert sich noch genau an den Tag, an dem sie beim Sex mit ihrem damaligen Partner einen Orgasmus hatte – etwas, das ihr zuvor nur sehr selten gelungen war. „Ich war nicht wie sonst in meinem Kopf gefangen“, erzählt sie. „Ich konnte mich ganz auf die Empfindungen meines Körpers konzentrieren.“
Der Grund für dieses neue Erleben? Ein spezieller Brownie, den ihr Partner extra für sie gebacken hatte – mit einer kleinen Menge Cannabis. Nach weiteren Selbstversuchen und Recherche war für sie klar: In der richtigen Dosierung half ihr Cannabis, den ständigen inneren Gedankenstrom zu beruhigen und sich intensiver auf ihren Körper einzulassen.
Was sagt die Wissenschaft?
Sonia ist nicht die Einzige, die Cannabis mit besserem Sex in Verbindung bringt. Eine 2019 in der Zeitschrift Sexual Medicine veröffentlichte Studie ergab, dass Frauen, die vor dem Sex Cannabis konsumierten, doppelt so häufig von „zufriedenstellenden“ Orgasmen berichteten. Eine weitere Untersuchung aus dem Jahr 2023 in der Journal of Cannabis Research zeigte, dass 70 % der Nutzerinnen von intensiveren Orgasmen sprachen.
In den USA geht man bereits erste Schritte in Richtung einer medizinischen Nutzung. In Connecticut wurde Cannabis im Jahr 2023 offiziell als Behandlungsmöglichkeit für Frauen mit Anorgasmie (Orgasmusstörung) zugelassen. In Großbritannien ist eine Verschreibung bisher nur in speziellen Fällen möglich, zum Beispiel für Patient:innen mit Epilepsie, Multipler Sklerose oder den Nebenwirkungen einer Chemotherapie. Dennoch steigt die Zahl der privaten Cannabis-Kliniken, die Patient:innen mit psychischen Erkrankungen oder chronischen Schmerzen behandeln.
Hindernisse und Herausforderungen
Sonia hoffte, Cannabis über ihre ärztliche Praxis zu erhalten. Doch da ihre Beschwerden nicht den offiziellen Vorgaben entsprachen, wurde ihr Antrag abgelehnt. Der illegale Kauf kam für sie nicht infrage, also verzichtete sie schließlich auf Cannabis – und litt weiterhin unter Orgasmusproblemen. Ihre Beziehung zerbrach daran.
„Es fühlte sich an, als wären wir beide gescheitert“, erinnert sie sich. „Irgendwann habe ich angefangen, Sex zu vermeiden, um der Enttäuschung meines Partners zu entgehen.“ Sie fragt sich heute, ob die Beziehung anders verlaufen wäre, wenn sie Cannabis legal und in der passenden Dosis hätte nutzen können.
Warum hilft Cannabis beim Orgasmus?
Wissenschaftler:innen haben mehrere Theorien, warum Cannabis das sexuelle Erleben verbessert. Eine davon ist die „veränderte Bewusstseinszustand-Theorie“. Cannabis hilft dem Gehirn, sich zu entspannen, was es Frauen erleichtert, sich auf körperliche Empfindungen zu konzentrieren, anstatt durch Stress oder Ängste blockiert zu werden.
Eine weitere Theorie ist die „Amygdala-Reduktions-Theorie“. Die Amygdala ist das Hirnareal, das für Angst und Stress verantwortlich ist. Cannabis könnte deren Aktivität reduzieren und so helfen, sich fallen zu lassen. Besonders für Frauen mit traumatischen Erfahrungen könnte dies von Bedeutung sein.
Sexuelle Aufklärung: Ein fehlendes Puzzlestück
Doch nicht nur der Zugang zu Cannabis ist ein Problem, sondern auch der Mangel an sexueller Aufklärung. Viele Frauen lernen nie, wie ihr eigener Körper funktioniert oder dass Orgasmen nicht nur durch penetrativen Sex erreicht werden müssen.
Erektionsstörungen bei Männern sind in der medizinischen Forschung weitaus besser erforscht als weibliche Orgasmusstörungen. In einer Datenbank für medizinische Studien gibt es 378 abgeschlossene Untersuchungen zu Erektionsproblemen, aber nur 13 zur weiblichen Orgasmusfähigkeit.
Sexologin Marie Morice betont: „Das Verstehen des weiblichen Körpers hängt stark mit kulturellen Vorstellungen zusammen. Noch immer wird Sex oft als etwas betrachtet, das dem Mann Vergnügen bereiten soll, während die Frau eine passive Rolle einnimmt.“
Die Zukunft von Cannabis in der Sexualmedizin
Wird es in Zukunft einfacher sein, Cannabis gegen Orgasmusprobleme zu verschreiben? In den USA gibt es bereits erste Schritte in diese Richtung. Neben Connecticut hat auch Illinois Medizinisches Cannabis für Orgasmusprobleme und andere gynäkologische Erkrankungen wie Endometriose zugelassen.
Sexualtherapeutin Miranda Christophers glaubt jedoch, dass sich in Großbritannien nur langsam etwas ändern wird: „Es geht oft um die Finanzierung solcher Programme. Selbst Medikamente wie Flibanserin, die als ‚Viagra für Frauen‘ gelten, sind in den USA zugelassen, aber hier kaum verfügbar.“
Suzanne Mulvehill, die in den USA eine Organisation zur Erforschung weiblicher Orgasmen leitet, sagt: „Frauen brauchen nicht nur Zugang zu Cannabis, sondern auch Aufklärung darüber, wie sie es am besten nutzen. Dosis, Einnahmeform und mögliche Kombinationen mit Therapie müssen berücksichtigt werden.“
Ein Wandel in der Gesellschaft
Das Wichtigste ist jedoch nicht nur die Frage, ob Cannabis Frauen beim Orgasmus helfen kann, sondern ein gesellschaftlicher Wandel hin zu mehr Fokus auf weibliche Lust.
Abigail, 24 Jahre alt, hat durch eine Sexualtherapie gelernt, ihre Bedürfnisse besser zu kommunizieren. „Ich spreche mit meinen Freundinnen viel offener über Sex und Lust als meine Mutter es je getan hat“, sagt sie.
Ob Cannabis also die ultimative Lösung ist oder nicht – die Tatsache, dass das Thema weibliche Lust endlich ernst genommen wird, ist ein großer Fortschritt.