Die exzessive Nutzung digitaler Medien unter Jugendlichen nimmt dramatische Züge an. Eine aktuelle Studie des Universitätsklinikums Eppendorf (UKE) in Zusammenarbeit mit der Krankenkasse DAK zeigt alarmierende Zahlen: Jeder vierte Jugendliche zwischen 10 und 17 Jahren zeigt ein riskantes oder gar pathologisches Mediennutzungsverhalten. Besonders brisant: Mediensucht ist in dieser Altersgruppe deutlich weiter verbreitet als der Missbrauch von Cannabis oder Alkohol.
- Mediensucht statt Cannabis? Ein neues Suchtphänomen bei Jugendlichen
- Wann wird Medienkonsum zum Problem?
- Erschreckende Zahlen: Wie viel Zeit verbringen Jugendliche online?
- Eltern überfordert mit Medienerziehung
- Sollte Medienkompetenz ein Schulfach werden?
- Welche Rolle spielt der Staat?
- Phubbing: Die unterschätzte Gefahr im Alltag
- Fazit: Mediensucht als unterschätzte Gefahr
Mediensucht statt Cannabis? Ein neues Suchtphänomen bei Jugendlichen
Laut Professor Rainer Thomasius, Leiter der Studie und Experte für Suchterkrankungen im Kindes- und Jugendalter, zeigt sich eine besorgniserregende Entwicklung: Die Medienabhängigkeit hat sich in den letzten Jahren drastisch verstärkt. Während Cannabis-Missbrauch unter Jugendlichen zwar nach wie vor ein Thema ist, ist die problematische Nutzung sozialer Medien, Gaming-Plattformen und Streaming-Dienste inzwischen zehnmal häufiger.
Wann wird Medienkonsum zum Problem?
Doch wann spricht man von Mediensucht? Problematisch wird es, wenn Jugendliche die Kontrolle über ihr Medienverhalten verlieren und andere wichtige Bereiche des Lebens – Schule, soziale Kontakte, Hobbys – vernachlässigen. Wenn die exzessive Nutzung über mindestens ein Jahr anhält und das alltägliche Leben massiv beeinträchtigt, spricht man von einer pathologischen Nutzung. Schon eine temporäre Eskalation kann jedoch riskant sein und negative Folgen haben.
Erschreckende Zahlen: Wie viel Zeit verbringen Jugendliche online?
Laut der Studie verbringen 10- bis 17-Jährige durchschnittlich:
- 3 Stunden täglich auf Social Media
- 2,5 Stunden mit Handy-Games
- 1,8 Stunden mit Streaming-Diensten
Insgesamt verbringen viele Jugendliche mehr als sechs Stunden täglich vor Bildschirmen – ein Wert, der weit über den Empfehlungen von Kinderärzten und Jugendpsychiatern liegt. Die Folgen: Entwicklungsdefizite, Fehlsichtigkeit, Bewegungsmangel und Fettleibigkeit, aber auch emotionale und soziale Störungen.
Eltern überfordert mit Medienerziehung
Ein weiteres Problem: Viele Eltern wissen nicht, wie sie mit der digitalen Abhängigkeit ihrer Kinder umgehen sollen.
- 30 % der Eltern fühlen sich überfordert und wünschen sich mehr Unterstützung.
- 40 % der Haushalte regulieren die Medienzeit ihrer Kinder nicht ausreichend.
- In jedem vierten Haushalt werden die konsumierten Inhalte kaum überprüft.
Die Forderung nach mehr Aufklärung ist laut: Bildungsangebote für Eltern und Schulen sollen helfen, Medienkompetenz zu fördern und Kinder besser auf einen bewussten Umgang mit digitalen Inhalten vorzubereiten.
Sollte Medienkompetenz ein Schulfach werden?
Besonders betroffen von problematischer Mediennutzung sind bildungsferne Familien und Alleinerziehende. Experten fordern daher, dass Schulen hier eine größere Verantwortung übernehmen. Aktuell wird Medienkompetenz in vielen Fächern oberflächlich behandelt, aber nicht gezielt vermittelt. Ein neues Schulfach „Gesundheitsförderung“ könnte Abhilfe schaffen. Neben Medienkompetenz könnten dort auch Ernährung, Bewegung, soziale Fähigkeiten und emotionale Resilienz unterrichtet werden.
Welche Rolle spielt der Staat?
Laut den Studienautoren sollte der Staat striktere Schutzmaßnahmen gegenüber Medienanbietern durchsetzen. Insbesondere sogenannte „Dark Patterns“ – psychologisch manipulierte Belohnungssysteme in Apps und Spielen – sollten strenger reguliert werden. Auch Hassbotschaften, Gewalt, Pornografie und Cybermobbing stellen ein massives Problem dar, das gesetzlich besser kontrolliert werden muss.
Phubbing: Die unterschätzte Gefahr im Alltag
Ein weiteres Phänomen, das in der Studie untersucht wurde, ist „Phubbing“ – das ständige Blicken aufs Smartphone während eines Gesprächs. Ein Drittel der Befragten kennt diese unangenehme Situation. Besonders alarmierend: Phubbing kann zu Stress, Demütigung und sozialer Isolation führen. Studienleiter Thomasius sieht darin eine gesellschaftliche Fehlentwicklung hin zu immer mehr Egozentrik und mangelnder Empathie.
Fazit: Mediensucht als unterschätzte Gefahr
Die Ergebnisse der Studie zeigen deutlich: Während Cannabis-Missbrauch unter Jugendlichen ein präsentes Thema ist, wird die Gefahr durch Mediensucht oft unterschätzt. Ein bewussterer Umgang mit digitalen Medien, mehr Aufklärung für Eltern und strengere gesetzliche Regelungen sind dringend notwendig, um eine weitere Eskalation zu verhindern. Die Gesellschaft steht vor der Herausforderung, digitale Balance zu finden und die kommende Generation vor einer immer größeren digitalen Abhängigkeit zu bewahren.